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Erstklässler: Einschulung in Moskau (Foto: Archiv/.rufo) | |
Montag, 19.09.2011
Wohin mit dem Kind: Moskaus Schulen schaffen Hort ab
Moskau. An den Moskauer Grundschulen wird der Hort abgeschafft. Manche Schulen lehnen mit Verweis auf neue Hygienevorschriften Neuaufnahmen ab. Die Eltern sind empört, aber machtlos. Schule als Geschäft?
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Die Verbraucherschutzbehörde RosPotrebNadsor hat die Anforderungen an die Bedingungen im Hort zum neuen Schuljahr verschärft: „Die Schlafzimmer für die Erstklässler, die den Hort besuchen, müssen nach Jungen und Mädchen aufgeteilt werden. Sie werden mit Kinderbetten oder eingebauten Einetagenbetten ausgestattet“, heißt es u.a. in dem Text.
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Schulen wollen Kinder am Nachmittag nicht mehr Die scharfe Trennung von Jungen und Mädchen in diesem Alter ist sicher streitbar, die Forderung nach Kinderbetten hingegen vernünftig. Trotzdem nutzen viele Schulen diesen Passus, um sich ihrer Pflicht zu entziehen, das Kind nach dem Unterricht zu beschäftigen.
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In einer Schule in der Moskauer Satellitenstadt Jubilejny teilte die Schulverwaltung den Eltern mit, dass aufgrund des Bettenmangels keine Hortgruppe zusammengestellt werden könne. „Die Mütter sind schockiert. Sie lassen sich auf Halbtagsarbeit heruntersetzen. Wer diese Möglichkeit nicht hat, muss kündigen“, berichtet Alexander, ein 45-jähriger Vater einer Erstklässlerin, der Tageszeitung „Moskowski Komsomolez“.
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Alleinerziehende: Wohin mit dem Kind? Für junge Mütter im Arbeitsalltag ist das ein großes Problem. Russland liegt bei der Scheidungsrate seit Jahren in der Spitzengruppe. So sind viele Mütter mit Schulkindern allein erziehend und damit auf den eigenen Job angewiesen.
Doch wohin mit dem Kind? Jubilejny ist nämlich beileibe kein Einzelfall. Auch in anderen Städten um Moskau herum, ja auch in der russischen Hauptstadt selbst kündigen immer mehr Schulen den Eltern die Nachmittagsbetreuung unter Berufung auf die neuen Hygienevorschriften.
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Versuch, Betreuungsgeld einzutreiben Der Moskauer Kinderrechtsbeauftragte Jewgeni Bunimowitsch vermutet, dass die Schuldirektoren die Eltern mit dieser Maßnahme zum Zahlen für den laut Gesetz noch kostenlosen Hort zwingen wollen. Tatsächlich ist eine Reihe von Eltern bereit, einer kostenpflichtigen Betreuung zuzustimmen.
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Doch dann müsste auch der Service an den Schulhorten verbessert werden, mahnt Bunimowitsch an. Bisher sind die meisten Horterzieher nämlich nur als Aufsichtspersonal tätig, die kontrollieren, ob die Kinder keinen allzu großen Unfug machen. Die Erledigung von Hausaufgaben oder eine sinnvolle Beschäftigung mit den Kindern geschieht im Hort nur in den seltensten Fällen.
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Schule als Geschäft ... In jedem Fall wird die kostenpflichtige Hortbetreuung wohl in den nächsten Jahren flächendeckend kommen. Das russische Bildungsministerium hat den Rotstift bei den Schulen schon angesetzt.
Selbst die staatliche Finanzierung einzelner Fächer ist in Gefahr. Die neue Ideologie lautet: die Schulen sollen sich so weit wie möglich selbst tragen. Wenn die Schulen schauen müssen, wie sie mit den begrenzten Mitteln auskommen, ist klar, dass der Hort am ehesten gestrichen wird, wenn er sich nicht selbst finanziert.
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Moskauer Deutsche Schule erhöht Hort-Tarif Übrigens: An der Moskauer Deutschen Schule wird sich bei der Nachmittagsbetreuung nicht viel ändern. Dort war die Kinderbetreuung allerdings auch schon lange kostenpflichtig.
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Wer will, kann seine Kinder auch im neuen Schuljahr in den Hort der Botschaft geben.
Nur der Tarif steigt: Mussten die Eltern im letzten Jahr für Hort und Mittagessen noch 3.900 Euro zahlen, so kostet der Hort im Schuljahr 2011/12 schon 4.200 Euro.
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Paulsen-Consult 22.09.2011 - 19:11
Deutschland kein Vorbild
Endlich mal ein Punkt, an dem man sagen kann, dass es in Deutschland auch nicht besser ist. Trotz klammer öffentlicher Kassen haben die postsowjetischen Staaten häufig noch ein ganztägiges Betreuungsangebot für Kinder. \\r\\nFür Deutschland hingegen muss man festhalten, dass trotz hohen Wohlstandes und eines jährlich wachsenden Bruttosozialproduktes für die Kleinen mal wieder nichts dabei ist. Bereuungsplätze im Kindergarten sind Mangelware und Hortplätze in der Schule sind in Deutschland Glückssache.\\r\\nDen Kindergartenplatz für unseren Kleinen haben wir uns verzweifelt erkämpfen müssen. Ich wäre auch zur Bestechung bereit gewesen, was zum Glück dann aber doch nicht notwendig war. Sogar der deutsche Bundespräsident hat Probleme, einen Kindergartenplatz für seine Jüngsten zu bekommen. In diesem überheblichen Wohlstandsland gibt es einen verzweifelten Überlebenskampf der berufstätigen Eltern, die ihre Kinder tagsüber nicht unterbringen können. Eine Absurdität erster Klasse, bei der wir in Berlin locker mit Moskau mithalten können. Sogar die bürokratischen Paradoxien sind mindestens so perfekt, wie in Russland. In Berlin hat man zwar einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz und auch auf einen Platz im Kinderhort, kann diesen aber nicht realisieren. Die Jugendämter haben keine Nachweispflicht und sind somit aus dem Schneider, wenn die Eltern keinen Platz für ihren Liebling finden. Der Anspruch steht also nur auf dem Papier. Damit die SPD wieder gewählt wird, hat sie dennoch alle Kindergartenplätze kostenfrei gemacht, was aber wenig nützt, wenn es keine Kindergarten- oder Hortplätze gibt. Besser kann man Eltern nicht austricksen, nicht mal in Moskau.\\r\\nDie deutschen Bildungseinrichtungen folgen einem einfachen Prinzip. Je höher das Bildungslevel der Einrichtung, desto besser ist sie ausgestattet. Grundschulen sehen in Berlin deshalb häufig aus, wie besetzte Häuser. Überall bröckelt der Putz, die Außenanlagen sind verwildert und aus manchen Fenstern hängen Plakate von protestierenden Lehrern und Kindern, welche die Verwahrlosung anprangern. In vielen Grundschulen riecht es nach Schimmel und Pissour. Beklagt wird in Deutschland aber gerne die geringe Moral der Schüler und es geht gegen Eltern, die ihren Erziehungsaufgaben nicht gerecht werden.\\r\\nDie deutsche Politik, die gern mal ne Milliarde an Opel überweist, scheint der Meinung zu sein, dass unsere Kinder erstmal ein paar Jahre auf dem Klo lernen sollten, bevor sie eine richtige Schule von innen sehen. Die fängt dann in Berlin austattungstechnisch erst ab der siebten Klasse an.\\r\\nDen PISA-Verlierer Deutschland kann man gern als Vorbild für Energietechnik nehmen, aber im pädagogischen Bereich ist es ein einziger unaufhörlicher Absturz. Seit Jahrzehnten befinden sich die deutschen Schulen im freien Fall und noch immer hat sich die Ganztagsschule nicht durchgesetzt. Es ist kein Geld da. Die Deutschen geben ihr Geld lieber für teure Autos aus.
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